Die teils abwegigen Thesen bestätigen nur die Ratlosigkeit in der Debatte und machen klar: Eine simple Lösung gibt es nicht. Der Weg aus der Gewalt-Krise ist lang. Und vermutlich wird es auch nicht helfen, bei gewalttätigen Jugendlichen in der U-Bahn einfach den Wagen zu wechseln, wie es Bundesjustizministerin Brigitte Zypries neulich empfohlen hat. Ob härtere Strafen helfen, Anti-Aggressionstrainigs oder Erziehungslager – die Experten streiten sich. Im zweiten Teil der Jugendgewalt-Serie hat Scoolz erneut Fakten und Hintergründe gesammelt.
Wie sehen die Gesetze aus?
Mit der Forderung nach härteren Gesetzen brachte Roland Koch den Stein ins Rollen. Der Deutsche Anwaltverein und der Deutsche Richterbund lehnten Kochs Vorstoß dagegen ab. Auch andere Fachleute halten die bestehenden Vorschriften für ausreichend.
Generell setzt das Jugendstrafrecht stark auf Erziehung statt Bestrafung. Besonders bei jungen Tätern wird davon ausgegangen, dass ihnen aufgrund ihres Alters das Unrechtsbewusstsein noch fehlt und dass sie noch formbar sind. Die Justiz unterscheidet zwischen Kindern (unter 14 Jahren), Jugendlichen (14 bis 17 Jahren) und Heranwachsenden (18 bis 21 Jahren). Kinder unter 14 Jahren sind nicht strafmündig, danach gilt das Jugendstrafrecht.
Diese Verfahren werden von einem speziellen Jugendrichter geführt. Bei geringen Verfehlungen kann der Jugendrichter Erziehungsmaßnahmen verhängen. Diese Strafarbeiten müssen die Jugendlichen dann absolvieren, oft in sozialen Einrichtungen. In gravierenderen Fällen gibt es Verwarnungen und schärfere Auflagen, wie etwa eine Geldbuße und Jugendarrest. Letzterer darf bis zu vier Wochen dauern. Erst für schwere Straftaten sieht das Gesetz als letztes Mittel auch Haftstrafen vor. Diese Jugendhaft kann bis zu zehn Jahre dauern. Ausländische Täter können auch abgeschoben werden. Bislang aber nur, wenn sie zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt wurden. Jugendstrafen werden in der Praxis häufig zur Bewährung ausgesetzt.
Auch Verfahren gegen Heranwachsende werden grundsätzlich vor Jugendgerichten geführt. Dabei müssen die Richter die Reife des Angeklagten beurteilen und entscheiden, ob er noch unter das Jugendstrafrecht fällt. In der Praxis ist das sehr oft der Fall. In Hamburg wurden im Jahr 2006 86,6 Prozent dieser Fälle nach dem Jugendrecht verurteilt, veröffentlichte "Die Zeit". Einige Experten, besonders aus den Reihen der Polizei, bemängeln gerade diesen milden Umgang mit den Paragraphen bei 18- bis 21-Jährigen. Auch die Verfahren dauern vielen Fachleuten zu lange. Hier ist der CDU-regierte Stadtstaat an der Elbe ebenfalls kein Musterbeispiel. Alleine von der Anklage bis zur Verurteilung vergehen hier mindestens dreieinhalb Monate. In Köln gilt ein Verfahren als zügig, wenn zwischen Tat und Urteil nicht weniger als 100 Tage vergehen.
Richterbund und Anwaltverein forderten deshalb statt einer Verschärfung des Strafrechts mehr Personal. Wer Stellen in der Justiz streiche, könne nicht gleichzeitig eine effektivere Bekämpfung der Jugendkriminalität durch schnellere Verurteilung jugendlicher Täter fordern, zitiert die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" Christoph Frank, den Vorsitzenden des Richterbundes.
Anti Aggressions-Trainigs
Im Rahmen des Jugendstrafrechts können die Richter die Straftäter zu einer ganzen Reihe von erzieherischen Maßnahmen verpflichten. Dazu gehören auch professionell durchgeführte Anti Aggressions-Kurse. In Hamburg etwa treffen sich die Verurteilten über einen Zeitraum von einem Jahr für jeweils drei Stunden wöchentlich. Die Kurse, die in der Hansestadt unter dem Namen Coolness-Training bekannt sind, funktionieren nach dem "Heißen-Stuhl"-Prinzip: Ein Straftäter sitzt auf einem Stuhl im Kreis der anderen Kursteilnehmer. Unter der Leitung von einem oder mehreren Trainern muss er sich dann intensiv mit seiner Tat auseinandersetzen und dazu Stellung nehmen. Anschließend wird das Diskussionsverhalten von den Teilnehmern bewertet. Dabei muss er in jedem Fall cool bleiben: Beleidigungen sind für alle verboten. Die Jugendlichen müssen die normalen Regeln in einer Diskussion einhalten. Reagiert "Mr. Cool" mit Gewalt, ist für ihn der Kurs beendet. So lernen die Delinquenten Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.
Diese Kurse sind an der Elbe recht erfolgreich. Professor Jens Weidner von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften hat die Kurse entwickelt. 1400 aggressive junge Menschen werden pro Jahr in seinem Institut für Konfrontative Pädagogik behandelt. Laut Statistik würden 63 Prozent dieser Jugendlichen nicht gewaltrückfällig, heißt es. Vor allem weil sich die Jugendlichen in den AATs ernst genommen fühlen: Ihre Aussage hat Folgen und somit auch Gewicht. Ein Allheilmittel, das jeden Jugendlichen auf den Pfad der Vernunft führt, sind die Kurse aber nicht. Kritische Stimmen sehen außerdem den Täter durch die große Diskussionsrunde zu stark bedrängt.
In Zukunft soll das Coolness-Training auch an Hamburger Schulen von Problemvierteln eingeführt werden. Ein Pilotprojekt stieß bei beteiligten Schülern und Pädagogen schon auf Begeisterung.
[Jörg]
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