Die deutsche Studentin Antonia Waskowiak (Mitte) unterstützt kenianische Mädchen im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung (Foto: Antonia Waskowiak/Zinduka e.V.) Die deutsche Studentin Antonia Waskowiak (Mitte) unterstützt kenianische Mädchen im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung (Foto: Antonia Waskowiak/Zinduka e.V.)
Kenia

FGM: Studentin kämpft gegen Genital­verstümmelung

In großen Teilen Afrikas ist weibliche Genitalverstümmelung (kurz FGM) noch immer ein festes, traditionelles Ritual. Rund 150 Millionen Mädchen und Frauen in Afrika sind "beschnitten", meistens fand dieses grausame Szenario schon in ihrer Kindheit statt. Die deutsche Studentin Antonia Waskowiak kämpft mit ihrem Verein Zinduka e.V. gegen die Frauenverstümmelung in Kenia, genauer beim Kuria-Stamm. In dieser ethnischen Gruppe sind 84 Prozent der Frauen verstümmelt. Waskowiak klärt junge Mädchen über die Gefahren einer Genitalverstümmelung auf - und zeigt ihnen eine Alternative auf. Pointer hat sich mit der Studentin über die Tradition der FGM und ihren Kampf dagegen unterhalten.

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Ein grausames Ritual

Blutgebadete Gewänder, rote Pfützen auf dem Boden und mittendrin ein weinendes Mädchen. Es sind schockierende Szenen, die sich regelmäßig in Kenia abspielen. Was diesem Mädchen passiert ist, hängt mit keinem Bürgerkrieg oder bewaffnetem Konflikt zusammen. Es ist eine Tradition, junge Mädchen im Alter von acht bis 16 Jahren in diesen schrecklichen Zustand zu versetzen. In Kenia und insbesondere beim Kuria-Stamm gehört es zum Erwachsenwerden: Die so genannte Beschneidung von weiblichen Kindern und Jugendlichen.

Die Schreie hallen oft weit ins Land, wenn ein Mädchen auf einem abgelegenen Feld derart verstümmelt wird. Meistens ist es eine ältere Frau, eine "Beschneiderin", die das macht, was man sich in Europa kaum vorstellen kann. Sie entfernt dem jungen Mädchen mit einem Rasiermesser den äußerlich sichtbaren Teil der Klitoris und der inneren Schamlippen - ohne Betäubung. Die unglaublichen Schmerzen kann man sich wohl nicht mal im Ansatz vorstellen. Es ist eine qualvolle Tortur, doch während das Mädchen schreit und in Tränen aufgelöst ist, feiern ihre Familienangehörigen. Sie haben die "Beschneiderin" für ihren Job bezahlt. 500 kenianische Schillinge, umgerechnet etwas mehr als vier Euro, erhält die Frau. Zur "Beschneiderin" wurde sie durch ein spirituelles Ritual. Eines Morgens lagen Rasiermesser und Glasscherben vor ihrer Tür. Eine Schulausbildung oder gar anatomisches Wissen besitzt sie nicht.
 


Dramatische physische und psychische Folgen

Das verstümmelte Mädchen ist gemäß der tief verankerten Tradition des Kuria-Stammes jetzt erwachsen. Sie wird nun als vollwertiges Mitglied der Gemeinde angesehen und kann verheiratet werden. Am besten mit einem wohlhabenden Mann, der einen hohen Brautpreis für das Mädchen bezahlt. Dann haben sich die vier Euro für die "Beschneiderin" mehr als rentiert. Wurde das Mädchen dazu gezwungen? Nein, es ging freiwillig mit aufs Feld. Die Freundinnen haben es ja auch schon hinter sich, es gehört einfach dazu. Genaue Vorstellungen von den grausamen Schmerzen konnte die junge Frau aber nicht haben. Genauso wenig weiß sie, dass sie sich vielleicht mit lebensbedrohlichen Erregern infiziert hat. Oder dass sie, sollte sie ein Kind gebären, erneut unerträgliche Schmerzen haben wird und dabei sogar sterben kann.

Im Rescue Camp werden die jungen Kenianerinnen über die Risiken von FGM unterrichtet (Foto: Antonia Waskowiak/Zinduka e.V.)Im Rescue Camp werden die jungen Kenianerinnen über die Risiken von FGM unterrichtet (Foto: Antonia Waskowiak/Zinduka e.V.)
Im Rescue Camp werden die jungen Kenianerinnen über die Risiken von FGM unterrichtet (Foto: Antonia Waskowiak/Zinduka e.V.)Im Rescue Camp werden die jungen Kenianerinnen über die Risiken von FGM unterrichtet (Foto: Antonia Waskowiak/Zinduka e.V.)


Zinduka e.V. hilft - mit dem Rescue Camp

In den Sommerferien der zwölften Klasse erfuhr Antonia Waskowiak das erste Mal von dieser Tradition des Kuria-Stammes. Zusammen mit 15 anderen Freiwilligen lernte sie die kenianische Kultur kennen und konnte mit verstümmelten Mädchen sprechen. Für sie stand schon damals fest, dass es so nicht weitergehen dürfe. Mit der Zeit wurde ihr fortwährendes Engagement in Kenia zu einem Entwicklungsprojekt. 2016 entschloss sich Waskowiak dann, mit Unterstützung ihres Vaters den Verein Zinduka e.V. zu gründen. Der Verein setzt sich für viele Projekte ein, eines der größten ist wohl das sogenannte Rescue Camp.
 


Ziel des Camps ist es, Mädchen des Kuria-Stammes über die Risiken der Genitalverstümmelung aufzuklären und ihnen Zukunftsperspektiven ohne eine Beschneidung aufzuzeigen. Nachdem das Camp im Winter 2016 ein voller Erfolg war, geht es noch in diesem Jahr in die zweite Runde. Bereits 170 Mädchen sind registriert, 200 können maximal aufgenommen werden. "Wir rechnen am Eröffnungstag mit einem Ansturm extrem gefährdeter Mädchen", berichtet Waskowiak. Deswegen werden einige Plätze noch freigehalten. Den großen Andrang verdankt der Verein einer Reihe von selbst durchgeführten Informationsveranstaltungen in Schulen, Kirchen und öffentlichen Institutionen. "Wir kooperieren mit Organisationen und Institutionen vor Ort", berichtet Waskowiak, denn gerade die Einbindung der örtlichen Bevölkerung sei sehr wichtig. So muss auch ein Elternteil des jeweiligen Mädchens die Teilnahme am Camp erlauben. Um das zu erreichen, sind ausführliche Gespräche mit den Eltern elementar.

Einen Monat dauert das Zinduka-Camp. In dieser Zeit haben die Teilnehmerinnen viel Unterricht und bekommen wichtige Informationen rund um das Thema weibliche Genitalverstümmelung vermittelt. "Die Mädchen lernen außerdem, welche Rechte ihnen zustehen und welche Zukunftsperspektiven sie durch Bildung und einen Schulabschluss erhalten", sagt Waskowiak, die auch vor Ort ist. Am Ende des Camps soll es zudem eine Feier geben - allerdings ohne blutige Gewänder, ohne Schmerzen und ohne Tränen. Stattdessen soll es ein freudiges Ereignis werden. Man könne es sich ein bisschen wie eine Konfirmationsfeier vorstellen, meint Waskowiak. "Jedes Mädchen bekommt eine Urkunde. Diese symbolisiert, dass sie nun den Schritt ins Erwachsenenleben gehen." Urkunde statt Verstümmelung, viel Freude und jede Menge gelernt: Dass das Rescue Camp auch in diesem Jahr ein großer Erfolg und ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sein wird, steht jetzt schon fest.

Bildung ist sehr wichtig, um FGM zu bekämpfen (Foto: Antonia Waskowiak/Zinduka e.V.)Bildung ist sehr wichtig, um FGM zu bekämpfen (Foto: Antonia Waskowiak/Zinduka e.V.)
Bildung ist sehr wichtig, um FGM zu bekämpfen (Foto: Antonia Waskowiak/Zinduka e.V.)Bildung ist sehr wichtig, um FGM zu bekämpfen (Foto: Antonia Waskowiak/Zinduka e.V.)


Bildung hilft am meisten

Das Rescue Camp ist ein wichtiger Teil der Bildungsoffensive, die Waskowiak mit ihrem Verein in Gang setzen will. Denn "Bildung ist der Schlüssel zur Beendigung von FGM", macht die Studentin deutlich. "Wir wollen hier nicht als Kolonisierer auftreten und den Kuria ihre Tradition verbieten". Stattdessen sei gute Bildungsförderung notwendig, sodass die Stammzugehörigen die Nachteile und Folgen der FGM selbst verstehen und einordnen können. Die Erkenntnis, dass jeder Mensch ein Recht auf Gleichheit, Unversehrtheit und ein selbstbestimmtes Leben hat, soll sich auch im Kuria-Stamm verbreiten. Diese Ziele verfolgt Waskowiak mit ihrem kenianischen Team konsequent. Man habe schon viel erreicht, freut sich die 25-Jährige. So ist sie seit fünf Jahren Direktorin der Bena Academy, einer mittlerweile sehr angesehenen Privatschule in Kenia. Über 300 Schüler und Schülerinnen besuchen die Einrichtung, die vom Kindergarten bis zur achten Klasse reicht. Auch hier werden die Kinder unter anderem über FGM informiert und aufgeklärt.
 


Das Bildungsangebot wird von den Einheimischen gut angenommen, Waskowiak erfährt viel Unterstützung vor Ort. Die Arbeit des Vereins wird von vielen sehr geschätzt - Anfeindungen bleiben trotzdem nicht aus. "Mich haben vor zwei Jahren FGM-Befürworter und traditionelle Krieger angegriffen. Sie dachten, dass ich sie anzeigen wolle, weil sie ein beschnittenes Mädchen in Schutz nahmen. Das war jedoch nicht meine Absicht. Ich hatte großes Glück und blieb unversehrt", sagt die Deutsche. Auch einige Mädchen des Rescue Camps mussten Beschimpfungen ertragen. Denn für die Traditionalisten gelten Mädchen ohne FGM als unrein, sie werden als Prostituierte angesehen. Beleidigungen und Diskriminierung von Seiten der Nachbarn oder Schulkameraden sind keine Seltenheit. Umso mutiger sind die Mädchen, die sich bewusst gegen FGM entscheiden.

FGM ist in Kenia illegal

Immer mehr Mädchen wagen diesen Schritt auch. Das liegt nicht nur am Zinduka-Verein, sondern auch an der veränderten Rechtslage in Kenia. Seit 2011 ist FGM in Kenia illegal. Seitdem hat sich der Anteil der verstümmelten Kuria-Frauen von 96 Prozent auf 84 Prozent reduziert. Trotzdem gehört FGM noch immer zum Alltag beim Kuria-Stamm. Mittlerweile gehe die Polizei jedoch härter gegen diese illegale Praktik vor, berichtet Waskowiak. "Weil sich die Kontrollen verschärft haben, werden die Mädchen häufig nachts mit Motorrädern zum Feld gebracht, wo die Beschneidung dann heimlich stattfindet". Doch auch hier bildet sich immer mehr Widerstand. So kam erst vor kurzem eine Gruppe der Motorrad-Fahrer auf den Zinduka-Verein zu, um sich ganz öffentlich gegen FGM zu stellen. Sie wollen ab jetzt keine dieser Nachtfahrten mehr anbieten.
 


Positiver Blick in die Zukunft

In einer relativ kurzen Zeitspanne haben Waskowiak und ihr Team also schon viel erreicht. Die Studentin schaut deswegen positiv in die Zukunft und hat ehrgeizige Ziele. "Unsere Bildungsarbeit und –förderung wollen wir gerne ausbauen und den Kuria dazu verhelfen, eine gebildete und stolze Gesellschaft aus sich zu machen. Wir möchten jede Frau, egal ob verstümmelt oder nicht, bestärken, ihr eigenes freies und selbstbestimmtes Leben zu führen." Dabei kann der Verein jede Unterstützung brauchen. Informationen zum Spendenkonto und anderen Hilfsoptionen gibt es hier.

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Der Autor: Jonas Bickel
Der Autor: Jonas Bickel

Der Autor: Jonas Bickel

Leben, wo andere Urlaub machen: Jonas ist auf der Nordseeinsel Föhr aufgewachsen. Jeden Tag am Meer zu sein, ist zwar schön. Früh war aber klar: Journalismus auf der Insel - da kommt man nicht weit. Also nach dem Abitur ab in die Medienstadt Hamburg, wo Jonas seit 2015 Politikwissenschaft studiert. Für Pointer schreibt er oft über seine großen Hobbys: Sport - insbesondere Fußball - und Gaming.